Jahrbücher
Oldenburger Münsterland

 

Kommentar von: Peter Sieve Interne Nr.: 0049-01
 
 
Der Tod in Oldenburg
 
  Die Frage, wie die Menschen in vergangenen Jahrhunderten mit dem Sterben und dem Tod umgegangen sind, beschäftigt seit längerer Zeit verstärkt die Geschichtswissenschaft, da sich hieran sehr deutlich die allmähliche Veränderung von existentiellen Denkweisen und Einstellungen beobachten läßt. Das bekannteste Werk dieser mentalitätsgeschichtlichen Forschungsrichtung ist die „Geschichte des Todes“ von Philippe Ariès. Auch für das Weser-Ems-Gebiet liegen inzwischen Arbeiten vor, die sich mit dem Themenkomplex beschäftigen, so von Hermann Queckenstedt für das spätmittelalterliche Osnabrück und von Christine Aka für Südoldenburg im 19. und 20. Jahrhundert.  
  Die hier anzuzeigende Arbeit - die Druckfassung einer Dissertation aus dem Jahre 1997 - entstand im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes am Historischen Seminar der Universität Oldenburg. Heike Düselder befaßt sich darin mit dem Sterben und dem Tod in den alten Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst. Die 1774 zum Herzogtum Oldenburg erhoben wurden. Damit kommt eine Region in den Blick, deren protestantische Bewohner ein wesentlich anderes Verhältnis zum Tod und zu den Verstorbenen hatten als katholische Christen, weil Luther die Lehre von einem Reinigungsort im Jenseits (und damit das Fürbittgebet für die Toten) verworfen hatte. Die Einleitung der Arbeit enthält die Problemstellung, methodische Vorüberlegungen sowie eine Beschreibung der Untersuchungsregion und der Quellen. Das zweite Hauptkapitel gibt einen Überblick über die Sterblichkeit im Land Oldenburg im 17. und 18. Jahrhundert, wobei neben Krankheiten, Seuchen und anderen Todesursachen auch Sturmfluten eine Rolle spielen (die Weihnachtsflut von 1717 forderte 2.471 Menschenleben). Im dritten Hauptkapitel werden neben einer 1641 erschienenen Predigtsammlung des oldenburgischen Pastors Schwartz über die christliche Betrachtung des Todes vor allem die Vorgaben der oldenburgischen Kirchenordnungen sowie die zahlreichen, aus heutiger Sicht manchmal recht skurril wirkenden Verordnungen der Obrigkeit zum Bestattungswesen untersucht. Die Hautquelle für die vorliegende Arbeit sind jedoch 206 gedruckte Leichenpredigten und sonstige Trauerschriften für Personen beiderlei Geschlechts und jeden Alters aus dem Land Oldenburg. Der Druck von Leichenpredigten war im protestantischen Teil Deutschlands vom 16. bis zum 18. Jahrhundert in Adelskreisen, bei Pastoren- und Beamtenfamilien und im gehobenen Bürgertum weithin üblich. Für die mentalitätsgeschichtliche Forschung sind sie eine unschätzbare Quelle, da sie tiefe Einblicke in das Selbstverständnis, die Normen und Werte der Menschen ermöglichen und ihr Sterben und ihren Tod vielfach ausführlich schildern. Die oldenburgischen Leichenpredigten werden im vierten, umfangreichsten Hauptkapitel unter verschiedenen Aspekten untersucht, wobei auch Kirchenbucheintragungen, Visitationsberichte und Artikel aus Wochenblättern herangezogen worden sind, um ein differenziertes Bild zu gewinnen. Deutlich werden dabei langfristige Kontinuitäten, aber auch starke Veränderungen, die das 18. Jahrhundert mit sich brachte: Die Ausrichtung auf das Jenseits und die christlichen Tugenden traten in den Hintergrund, während die Bedeutung der bürgerlichen Normen und Werte wuchs.  
  Die sehr sorgfältig erarbeitete Dissertation von Heike Düselder überzeugt vor allem durch ihr abwägendes Urteil und durch den Respekt vor den Glaubenshaltungen der Menschen der frühen Neuzeit. Viele Zitate aus den Quellen sind ausgewählte Illustrationen verlebendigen die Darstellung. Im Anhang findet sich eine tabellarische Übersicht der ausgewerteten Gedenkschriften (unter denen sich auch die Leichenpredigt für eine 1612 im damals noch protestantischen Vechta verstorbene Witwe findet).  

 

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Stand: 04. April 2009