Jahrbücher
Oldenburger Münsterland
Kommentar von: | Bernd-Ulrich Hucker | Interne Nr.: | 9746-07 |
Die Christianisierung des Oldenburger Münsterlandes
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Die Biographie frühmittelalterlicher Persönlichkeiten stößt auf Grenzen, die die Quellenarmut jener Zeit vorgezeichnet hat. Der Verfasser hat nicht nur sorgfältig Rechenschaft abgelegt über die je zwei zeitgenössischen und zwei immerhin karolingerzeitlichen Zeugnisse, die den Abt Castus nennen, sondern es auch verstanden, diese spärlichen Nachrichten in einem biographischen Rahmen sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Nicht mehr als die drei Wörter Signum Casti diaconi also "das Namenszeichen des Diakons Castus" nennt eine Werdener Urkunde von 796; und am 1. September 819 stellte Kaiser Ludwig der Fromme auf Bitten des Castus, der nun inzwischen Abt heißt, dessen Gebietsabtei Visbek unter seinen Schutz. Das wäre alles, wenn die um 850 entstandene Vita Liudgeri nicht noch erwähnte, daß "Gerbert genannt Castus" (also "der Reine") ein Schüler des Westfalenapostels gewesen ist, und wenn die Urbare des Klosters Werden um 890 nicht reiche Güterschenkungen Gerberts aufzählte. Die auffällige Vermengung der Güter Gerberts mit denen der Familie Widukinds erlaubten es schon Wilhelm Hanisch, den Visbeker Abt der Familie Widukinds zuzuordnen. Der Abteibezirk Visbek war offensichtlich einer der neun Missionssprengel, die Karl der Große ab 780 im Lande der unterworfenen Sachsen errichtet hatte. Er reichte von der Sater Ems bis zur Hunte und von Oldenburg - damals noch Pontenburg - im Norden bis zur Hasemündung an der Ems im Südwesten. Es ist aber auch möglich, daß dieser etwas schmalbrüstige Bezirk überhaupt erst mit Rücksicht auf die mächtige Hochadelsfamilie der Widukinde aus dem übergreifenden Missionsgebiet herausgeschnitten wurde, das Gerberts Lehrer; der Hl. Liudger; betreute und das von der Nordsee bis zur Lippe reichte. Diese Rücksichten endeten mit Sicherheit, als die Widukindfamilie mit dem Gegner König Ludwigs des Deutschen, Kaiser Lothar und den aufständischen Stellinga sympathisierte. Das war 841/42 und führte letztlich auch dazu, daß Lothar die Gründung des Widukindenkels Graf Waltbert in Wildeshausen protegierte. Und so löste Ludwig der Deutsche die Gebietsabtei 855 auf und unterstellte sie dem ersten Kloster in Sachsen, Corvey In diesem wichtigen Königsdiplom wird Castus nicht einmal mehr erwähnt. Irgendwann zwischen diesem Jahr und seiner letzten bezeugten Handlung - 819 - muß er gestorben sein. Aber doch wohl eher bald nach 819 als kurz vor 855. Seine historische Leistung wird durch die Auflösung Visbeks nicht berührt. Aber worin bestand diese eigentlich? Dies ist auch die Hauptfrage, der der Verfasser mit seinem Buch nachgegangen ist: Gerbert-Castus hat die Christianisierung unserer Region im Detail durchgeführt, d. h. Leri- und Hasegau erhielten damals ihre erste Kirchenorganisation. Das bedeutete zusammen mit der Existenz des klösterlichen Zentrums zugleich den Anschluß an die Schriftkultur des christlichen Europa. Durch reiche Stiftungen an dieses Kloster in Visbek hat Castus die wirtschaftliche Basis der neuentstehenden Kirche sichergestellt. Brockmann hat mit Recht sein letztes Kapitel "Castus - der Apostel des Oldenburger Münsterlandes" überschrieben. Denn er steht am Beginn der Christianisierung des späteren Niederstifts Münster so, wie Bonifatius als Apostel der Franken und Friesen, Liudger als Apostel der Westfalen wirkten. In Visbek entstand ein erstes geistliches Zentrum, das Mönchskloster; das leider im Verlauf des 9. Jahrhunderts wieder verschwunden ist. Auch hier darf ein Zusammenhang mit Wildeshausen angenommen werden, dessen Gründung 851 begann und im Laufe der beiden folgenden Jahrzehnte abgeschlossen werden konnte. In einem der drei Exkurse des Buches ist scharfsinnig dargelegt, daß die ecclesia, die abbatia in Visbek, zwingend eine Niederlassung von Mönchen oder Kanonikern gewesen sein muß, die nach einer Regel lebten, wie es 816 bzw. 818 reichsrechtlich festgelegt worden war. Anders wäre eine kaiserliche Privilegierung für die Visbeker Kirche gewiß nicht erfolgt. Anschaulich schildert das Buch die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der sächsischen Bevölkerung vor und nach der Eroberung durch die Franken unter Karl dem Großen. In zwei weiteren Exkursen wird das Diplom von 819 näher untersucht. Das Werk umfaßt ein ausführliches Register und Literaturverzeichnis. Für rasche Orientierung sorgt eine Zeittafel. Sorgfältig ausgewählte Karten und Abbildungen erleichtern den Zugang. |
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