Jahrbücher
Oldenburger Münsterland

 

Kommentar von: G. große Rebel-Diekmann Interne Nr.: 9544-02

 

 
"Freundschaft - ein Leben lang ..."
 
  In keine andere Epoche als ins Biedermeier passen Stammbücher oder auch Poesiealben besser hinein. Zeichnet sich gerade diese Epoche durch eine Gesamtstimmung von Weltschmerz aus, der sich in der für die Zeit sprichwörtlichen "Tränenseligkeit" äußert. Diese Zeit umfaßt sich widerstrebende Erscheinungen wie Spätromantik, die Nazarener, das Junge Deutschland, Dichtung und Malerei des Biedermeier sowie die Junghegelianer. Die Folge war der Rückzug in den privaten Bereich. Die Häuslichkeit, die Geselligkeit in Familie und Freundeskreis wird zur seelisch-geistigen Grundlage der Biedermeierkultur. Die Biedermeierdichtung gestaltete das sittliche Ziel der Zeit, die genügsame Selbstbescheidung, die stille Unterordnung unter das Schicksal, das kleine Glück, die Liebe zu den Dingen, zur Geschichte und Natur. Die Geringachtung des Formalen ermöglichte eine Flut dilettantischer Belletristik, die in einer Unzahl von Almanachen, Taschen- und Stammbüchern, Haus- , Familien- und Intelligenzblättern gedruckt wurde.  
  Christine Göhmann-Lehmann behandelt in der vorliegenden Begleitschrift zur gleichnamigen Ausstellung standardisierte Freundschaftsbeteuerungen in Frauenstammbüchern aus dem Herzogtum Braunschweig sowie die schriftliche Erinnerungskultur vom Biedermeier bis heute anhand von Stammbüchern und Poesiealben aus Norddeutschland. Das vom Seminar für Volkskunde der Universität Göttingen initiierte Thema wird in dieser Arbeit weitergeführt und um beträchtliches Quellenmaterial erweitert. Bei dem Stellenwert des Stammbuches in seiner Zeit ist es nicht verwunderlich, daß sich nicht nur mit der Herstellung und dem Handel der Bücher und Mappen, sondern auch mit fertigen Versvorlagen und Verzierungszubehör gut handeln ließ.  
  Möchte man die Inhalte einerseits als reichlich verzierten Nonsens bezeichnen, muß man andererseits den individuellen Wert eines jeden Buches akzeptieren. Nicht das Büchlein an sich, weder die Verzierung noch der ausgewählte Vers geben Aufschluß über die wirkliche Beziehung zwischen Schreiberin und Buchbesitzerin. Allenfalls kann die Sorgfalt der Schrift und der Verzierungen den jeweiligen Freundschaftsgrad andeuten. Aber das Bild, was die zumeist jungen Frauen voneinander hatten, bleibt unerforschbarer Bestandteil ihrer Erinnerung. Daß es den Frauen lieb und teuer war bzw. ist, unterstreicht den hohen Stellenwert dieser Art Erinnerungskultur. Denn das gegenseitige Verseintragen ist in allen Bevölkerungsschichten liebgewordenes Brauchtum geworden. Treffend bemerkt die Autorin zum Schluß: "Auch am Ende des 20. Jahrhunderts führt man solche Gedenkbücher, die zwar im späteren Leben oft belächelt, aber selten beiseite gelegt oder gar weggeworfen werden" (Seite 86).  

 

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Stand: 06. März 2009